Stilllegung und Rückbau von Kernkraftwerken

0

Dekontamination mittels Höchstdruck

Vor dem Hintergrund des beschleunigten Ausstiegs aus der Kernenergie in Deutschland gerät der Rückbau von Kraftwerken und anderen kerntechnischen Anlagen verstärkt in den Fokus des fachlichen und öffentlichen Interesses. Dabei ist die Dekontamination der Anlagenelemente von großer Bedeutung. Sie zielt darauf ab, die Strahlenbelastung des Personals beim Rückbau zu reduzieren, das Volumen an radioaktiven Stoffen zur Endlagerung zu verringern und eine möglichst weitgehende Wiederverwertung der einzelnen Bauteile zu gewährleisten.

Nach Ende ihrer betrieblichen Nutzung werden kerntechnische Anlagen zum Schutz von Mensch und Umwelt stillgelegt. Dies bedeutet in der Regel, dass betroffene Gebäudeteile dekontaminiert und das abgetragene Material entsorgt werden muss, um das Gelände uneingeschränkt für eine andere Nutzung freigeben zu können. Dabei gilt es, die radioaktive Strahlung der belasteten Anlagenteile zu berücksichtigen. Es müssen Schutzmaßnahmen getroffen und passende Dekontaminationsverfahren gewählt werden. Die einzelnen Anlagenteile können durch einen direkten Kontakt – beispielsweise mit radioaktivem Kühlmittel – oder aus der Luft belastet sein. In Kernnähe und im Bereich des Reaktordruckbehälters ist die Kontamination besonders hoch.

Direkter Abbau oder sicherer Einschluss

Nach dem Abschalten des Kernreaktors erfolgt die Nachbetriebsphase, in der unter anderem Brennelemente abtransportiert oder Betriebsmedien und -abfälle entsorgt werden und die Genehmigung der Stilllegung beantragt wird. Zwei Vorgehensweisen werden unterschieden:

  • Direkter Abbau: Die Anlage wird sofort beseitigt. Der Vorgang wird vom Anlagenpersonal betreut, das den Reaktor und seine Historie kennt. Nachteilig wirkt sich die höhere Radioaktivität aus.
  • Abbau nach sicherem Einschluss: Bei dieser Stilllegungsstrategie wird die Anlage für einen längeren Zeitraum in einem praktisch wartungsfreien Zustand eingeschlossen. Über einige Jahrzehnte klingt die Radioaktivität nun ab. Der Abbau wird damit erleichtert, allerdings ist der personelle Aufwand erheblich höher als beim direkten Abbau.

Vorbereitende Maßnahmen

Zur Vorbereitung der Abbauarbeiten erfolgt die Erstellung einer detaillierten Übersicht der radioaktiven Komponenten, um über die Techniken für die Dekontamination und Zerlegung entscheiden und dann die eigentlichen Maßnahmen einleiten zu können. Zuerst werden in den meisten Fällen die weniger strahlenbelasteten und dann die stärker kontaminierten Bereiche behandelt. Nahezu alle Anlagenteile werden in handhabbare Stücke zerlegt und danach – wenn nötig – dekontaminiert.

Dekontaminierungsverfahren

Bei Bauteilen, die zum Schutz vor Kontamination beschichtet sind, muss die Auflage abgetragen werden. Ist keine Beschichtung vorhanden, gilt es, die Oberfläche der kontaminierten, in der Regel metallischen Bauteile, aufzurauen und abzufräsen.

Im Allgemeinen sind zwei Verfahren zu unterscheiden:

  • Beim chemischen Verfahren werden zum Beispiel Säuren, Schäume oder Gele eingesetzt. Sie greifen die Oberfläche an und lösen kontaminierte Schichten ab.
  • Die mechanischen Verfahren umfassen die Hochdruckreinigung, den Einsatz von Bürsten und das Partikelstrahlen. Bei Letzterem werden abrasive Mittel eingesetzt, um die Oberfläche abzutragen.

Hoch- und Höchstdruck-Wasserstrahlen bei der Dekontamination

“Der Einsatz von Hoch- und Höchstdruck-Wasserstrahl-Verfahren spielt beim Rückbau von kerntechnischen Anlagen eine wesentliche Rolle, da sich diese Technik sowohl für die Dekontaminierung als auch das Zerlegen betroffener Bauteile eignet”, sagt Alexander Reger, Leiter der Anwendungstechnik beim Duisburger Hochdruckspezialisten Woma. Zudem könnten auch schwermetall- und faserhaltige Beschichtungen abgetragen werden. Werde mit Höchstdruck gearbeitet, gebe es mehrere Faktoren, die für die hydromechanische Leistung entscheidend sind. “Bei der Dekontamination kommen Geräte mit einem Wasserdruck von 400 bis 3.000 bar zum Einsatz. Maßgeblich sind der Wasserdruck, die Fördermenge und das gewählte Wasserwerkzeug”, so Reger weiter. Mit seiner breiten Palette ist das Hoch- und Höchstdruck-Verfahren besonders anpassungsfähig. Diese Flexibilität ist beim Rückbau von Kernkraftwerken gefordert. Denn unterschiedliche Materialien und die Intensität der Radioaktivität erfordern jeweils eigene Maßnahmen und Werkzeuge:

  • Zur großflächigen Reinigung kommen Wasserwerkzeuge wie ein Flächenreiniger oder eine Pistole mit Turbodüse – ein rotierender Düsenträgerkopf mit stufenloser Drehzahleinstellung – zum Einsatz.
  • Pistolen mit Punktstrahldüse bzw. rotierender Punktstrahldüse eignen sich für den Tiefenabtrag.
  • Zum Schneiden werden Höchstdrucksysteme mit Abrasivmitteln eingesetzt.
  • Komplexe Geometrien wie Ecken, Zwickel und Kanten und andere schwer zugängliche Stellen lassen sich mit konfigurierbaren Pistolen bearbeiten.

Oberstes Ziel aller Dekontaminationsmaßnahmen ist es, das Entsorgungsvolumen an radioaktivem Material so weit wie möglich zu reduzieren. Alexander Reger: „In einem Druckwasserreaktor laufen zum Beispiel zwei Wärmetauscher. Sie sind zwölf bis achtzehn Meter lang, haben einen Durchmesser von fünf Metern und bestehen aus über 30.000 Rohren. In diesen Dimensionen einzulagern wäre nicht möglich.“ Daher werden die Bestandteile des Wärmetauschers zerlegt und dekontaminiert. Erreichen die meist metallischen Bauteile danach den gesetzlich vorgeschriebenen Wert, können sie in der Stahlwiederverwertung der Metallschmelze beigemischt werden. Übrig bleiben die abgetragene Beschichtung beziehungsweise im Falle eines Oberflächenabtrags das radioaktive Wasser. Auch hier reduziert man noch einmal Volumen: Das Wasser wird verdampft und damit dekontaminiert – lediglich die verbleibenden Reststäube müssen dann noch entsorgt werden.

Sicheres Arbeiten in Dekontaminationsanlagen

Beim Umgang mit Höchstdrucktechnik sind umfangreiche Schutzmaßnahmen zu treffen. So muss der Bediener einen Schutzanzug und eine Haube mit Atemluftversorgung anlegen. Dekontaminationsanlagen mit Personenschleuse, integrierter Dusche und Strahlkabine sorgen für höchstmögliche Sicherheit. In der Personenschleuse wird die Schutzkleidung an- und abgelegt und gereinigt. In der etwa 3×3 m großen Kabine wird über eine Belüftungsanlage Unterdruck gegenüber dem Umgebungsdruck erzeugt, um ein Entweichen radioaktiver Strahlung zu verhindern.

De Dekontamination erfolgt mittels Handstrahllanzen. Bei manuellen Arbeiten ist zu beachten, dass die Rückstoßkraft der Pistole die gesetzliche Obergrenze von 150 Newton (N) bzw. bei der Arbeit mit Körperstütze 250 N nicht überschreitet. Dadurch ergibt sich bei einer durchschnittlichen Arbeitskraft beispielsweise bei einem Gerät mit 2.500 bar eine maximale Fördermenge von 24 Litern in der Minute. Wird die Arbeit mit Robotertechnik durchgeführt, kann diese auch bei weit über 250 N liegen.

Rohrbündel-Reinigung außerhalb der Gefahrenzone

Dekontaminierung mittels Höchstdrucktechnik ist heute vielerorts im Einsatz (siehe Kasten: Von Anfang an dabei: Woma-Technik beim Rückbau in Lubmin). Zur erforderlichen Ausrüstung zählt in jedem Fall die Dekontaminierungskabine. „Heute sind allerdings vermehrt Anlagen gefragt, bei denen sich der Bediener außerhalb der Gefahrenzone befindet. Wir haben daher eine Teilereinigungsanlage entwickelt, die sich in die bereits verbauten Kabinen integrieren lässt, “ so Reger. Das zu reinigende Bauteil wird auf eine dreh- und schwenkbare Auflage montiert. In der Anlage befindet sich ein Drucklanzenstativ. „Beides lässt sich von außen mühelos steuern – der Bediener muss selbst nicht mehr in der Kabine arbeiten.“

Neben dieser Lösung bietet WOMA ein System, das beispielsweise bei verschmutzen und kontaminierten Rohrbündeln und Wärmetauschern die einzelnen Rohre selbsttätig abfährt und reinigt. Mit einer umfassenden Kamera- und Laserüberwachung hat der Bediener den Vorgang im Blick – ohne kontaminierten Bauteilen nahe zu kommen. Um eine gründliche Reinigung zu gewährleisten, dokumentiert eine Wegmessung des Schlauches jeden Millimeter im Rohr. Der servomotorische Antrieb ermöglicht eine genaue Positionsbestimmung des Systems und ein besonders kontrolliertes Arbeiten.

Ob großflächige Reinigung, Tiefenabtrag oder Schneiden: Hoch- und Höchstdrucktechnik ist in der Dekontamination von Kernkraftwerken heute eine vielseitig einsetzbare Methode, die sehr gute Ergebnisse erzielt. Zudem sorgen innovative Ansätze dafür, dass der Bediener nicht mehr dauerhaft in der Gefahrenzone arbeiten muss – für den Rückbau weiterer Kernkraftwerke in Zukunft ein entscheidender Vorteil.

Von Anfang an dabei: Woma-Technik beim Rückbau in Lubmin
In den frühen 1990er Jahre wurden die Reaktorblöcke des Kernkraftwerks in Lubmin (Mecklenburg-Vorpommern) stillgelegt. Die ehemaligen Betreiber schlossen sich zur EWN GmbH zusammen und starteten mit den Rückbaumaßnahmen. Seit Anfang 2000 ist eine Dekontaminierungskabine von Woma in Betrieb. Zehn Jahre später folgte eine Anfrage für eine Sonderanfertigung, um Wärmetauscher zu dekontaminieren. Alexander Reger, Leiter Anwendungstechnik der WOMA GmbH, erläutert: „Wir haben daraufhin Versuche mit Wirbelstrahldüsen durchgeführt, eine Anlage entwickelt und mit dem Kunden gemeinsam getestet.“ Mit Erfolg, denn das System wurde 2012/13 in Betrieb genommen und läuft seither reibungslos. „Projekte wie das in Lubmin zeigen, dass Höchstdrucktechnik die nötigen Dekontaminierungsfaktoren erreicht und sich damit für den Rückbau von Kernkraftwerken sehr gut eignet.“

[14-05 Dekontaminieren_Hochdruck]

Mit ihrer breiten Werkzeug- und Zubehörpalette ist das Hoch- und Höchstdruck-Verfahren besonders anpassungsfähig und ermöglicht beim Dekontaminieren sowohl großflächiges Reinigen als auch Tiefenabtrag.

Foto: WOMA GmbH

k-14-05 Dekontaminieren_Hochdruck

 

Dekontamination_Kabine]

Die Dekontamination mittels Handstrahllanzen erfolgt in Kabinen. Der Bediener trägt dabei einen Sicherheitsschutzanzug und eine Haube mit Atemluftversorgung.

Foto: WOMA GmbH

k-14-05 Dekontamination_Kabine

 

 

[14-05 Vollautomatisches_System]

Vollautomatische Dekontaminierung: Rohre mit einem Durchmesser von 19 bis zu 2.600 Millimetern und einer Länge von bis zu 10 Metern können gründlich gereinigt werden, ohne dass der Bediener den Gefahrenbereich betreten muss.

Foto: WOMA GmbH

k-14-05 Vollautomatisches_System

 

[14-05 Dekontaminieren_Komplizierte_Geometrien]

Mittels Höchstdrucktechnik lassen sich auch Bauteile mit komplizierten Geometrien dekontaminieren.

Foto: WOMA GmbH

k-14-05 Dekontamination_Komplizierte_Geometrien

Fotogalerie KKG_High-Res

Share.

Leave A Reply

Diese Website verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre mehr darüber, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden.

× Available on SundayMondayTuesdayWednesdayThursdayFridaySaturday