Sieben Sichtweisen auf den Rückstauschutz

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Rückstauschutz durch Hebeanlage mit Rückstauschleife

7. OWL Abwassertag in Steinhagen

Bereits zum siebten Mal trafen sich Vertreter aus der Abwasserbranche zum OWL Abwassertag im Informationszentrum des Pumpenherstellers Jung Pumpen in Steinhagen.  150 Besucher aus ganz Deutschland, darunter Vertreter von Städten und  Kommunen, Zweckverbänden, Kläranlagen, Abwasser – und Umweltbetrieben sowie Planer und Tiefbauer aber auch Vertreter aus der Wissenschaft waren gekommen. So breitgefächert wie das Publikum, waren auch die Perspektiven der sieben Referenten auf das Thema Überflutung und Rückstauschutz. 

1.       Aus Sicht des Pumpenherstellers

Für Marco Koch, Veranstaltungsleiter und Leiter der Verkaufsförderung der Jung Pumpen GmbH, war die Sache völlig klar: Optimalen Schutz gegen Rückstau aus der Kanalisation bieten einzig und allein Hebeanlagen, die das häusliche Abwasser über eine korrekt installierte Rückstauschleife über der Rückstauebene (i.d.R. ist dies die Straßenoberkante) zum Kanal fördern. Und dafür gibt es zwei gute Gründe: Erstens ist das Gebäude damit sicher gegen Rückstau geschützt -unabhängig von der Funktion der Anlage- und zweitens können während des Rückstauereignisses alle Entwässerungsgegenstände (Dusche, WC, etc.) im Gebäude genutzt werden. Auch die DIN Norm 1986-100, in der der Schutz gegen Rückstau klar geregelt ist, sieht in erster Linie die Installation von Hebeanlagen und nur in Ausnahmefällen z.B. Rückstauverschlüsse vor.

2. Aus Sicht der DIN Norm

Unter welchen Voraussetzungen dürfen im Rahmen der DIN 1986-100 zur Rückstauvermeidung Rückstauverschlüsse eingesetzt werden? Diese Frage beantwortete Bernd Ishorst, Geschäftsführer des IZEG (Informationszentrum Entwässerungstechnik Guss e.V.) . Die Norm sagt: Rückstauverschlüsse dürfen nur verwendet werden, wenn erstens freies Gefälle zum Kanal besteht, zweitens die Räume von untergeordneter Nutzung sind (also keine wesentlichen Sachwerte beherbergen), drittens der Benutzerkreis klein ist und viertens diesem ein WC oberhalb der Rückstauebene zur Verfügung steht.  Aus seiner Sicht ein sehr begrenzter Anwendungsbereich im Vergleich zu Hebeanlagen, auch sei ein hundertprozentiger Schutz gegen Rückstau damit nicht zu erreichen. Das sei besser als nichts, merkte spontan ein Vertreter einer Kommune an, man sei schon froh, wenn die Bürger überhaupt irgendwie Vorsorge träfen.

3. Aus juristischer Sicht  

Wer haftet, wenn plötzlich Regenmengen fallen, die zu Zeiten des Baus der Kanäle nicht Dimensionierungsgrundlage waren und es infolge dessen zu Schäden kommt? Daniela Deifuß-Kruse, Rechtsanwältin bei Brandi Rechtsanwälte in Paderborn nahm die Haftung der Kommunen bei der Abwasserbeseitigung ins Visier. Fazit: Bei der Neuplanung von Kanälen gibt es klare technische Regelwerke zur Bemessung. Aber auch dann, wenn diese ursprünglich eingehalten wurden und sich eine Überlastung erst durch spätere Entwicklungen ergibt, müssen Betreiber von Abwasser-beseitigungsanlagen handeln. Zwar müssen sich auch Bürger selbst schützen: Kommunale Satzungen verlagern die Verantwortung für den Rückstauschutz i.d.R. auf die privaten Anschlussnehmer. Die öffentlichen Kanäle können und müssen nicht für alle Eventualitäten dimensioniert werden. Wenn aber erkennbar ist, dass die bestehende kommunale Anlage hydraulisch nicht dem Stand der Technik aus heutiger Sicht entspricht, etwa weil es tatsächlich zu häufig zu Überstau und Überflutung kommt, muss der Betreiber tätig werden. Dies bedeutet, dass bei der Sanierung von Kanälen nicht nur die technische, sondern auch die hydraulische Sanierung im Blick stehen muss. Die steigenden Wassermengen aufgrund zunehmender Starkregenereignisse sollten nicht ignoriert werden, sondern auch in Sanierungsplanungen einfließen.

4. Aus Sicht der Versicherungsbranche

Die Perspektive der Versicherungsbranche erläuterte Herr Nils-Christian Schmidt, von der Allianz Versicherung. Sein Fazit: Die weltweiten Schadensereignisse nehmen aufgrund des Klimawandels deutlich zu. Gleichzeitig wächst die Kluft zwischen den Gesamtschäden und den versicherten Schäden immer mehr. Aus seiner Sicht wird die Absicherung von Elementarschäden aufgrund zunehmender Extremwetterereignisse immer wichtiger. Laut seinen Aussagen können 98,5 % aller Gebäude versichert werden, auch solche in hochwassergefährdeten Gebieten, wenn die Gebäudeeigentümer Schutzmaßnahmen nachweisen können, z.B. den Einbau einer Hebeanlage.

5. Aus wissenschaftlicher Sicht 

Prof. Steffen Heusch von der TH Mittelhessen (THM) präsentierte den neusten Stand der Technik bei rechnergestützten Überflutungsanalysen. Mit entsprechender Software ist es möglich, flurstückgenau abzubilden, welche Gebiete überflutungsgefährdet sind. Dabei werden nicht nur Gewässer, Nebengewässer und das Kanalsystem betrachtet, sondern zusätzlich die Oberflächenstruktur des jeweiligen Geländes mit einbezogen. So entsteht ein mehrdimensionales Profil, dessen Variablen (z.B. die Niederschlagsmenge) geändert und die Auswirkungen am Rechner sichtbar gemacht werden können. Damit lässt sich für jedes Gebäude genau angeben, wie hoch der jeweilige Wasserstand bei welchem Szenario sein wird. Diese Berechnungen beschränken sich zur Zeit noch auf kleine Gebiete, da der rechnerische Aufwand sehr groß ist.

6. Aus Sicht der Stadt Herford

„Wir haben uns die Arbeit gemacht und alle Daten für eine rechnergestützte Überflutungsanalyse ermittelt“, berichtete Gerhard Altemeier, technischer Betriebsleiter des Immobilien- und Abwasserbetriebes der Stadt Herford. „Darüber sind wir sehr glücklich“, so Altemeier weiter, „ denn nun wissen wir ganz genau, auf welche Gebiete und Gebäude wir uns konzentrieren müssen“. Der Aufwand sei  in der Tat groß und viele Ortsbegehungen notwendig gewesen, um jede Mauer und jeden Bordstein in die Berechnung mit einfließen zu lassen. Ziel ist es, bei Überflutungen die Wassermengen innerhalb des Straßenkörpers und auf Grünflächen zwischen zu speichern, so dass das Wasser nicht in die Gebäude läuft. Hier gilt es abzuwägen zwischen gewünschter Barrierefreiheit des öffentlichen Straßenraumes einerseits und der Nützlichkeit manch hohen Bordsteines bei einer möglichen Zwischenspeicherung von Wasser anderseits.

7. Aus Bürgersicht

Dipl.-Ing. Marc Scheibel vom Wupperverband und Mitverfasser des DWA Leitfadens „Starkregen und urbane Sturzfluten – Praxisleitfaden zur Überflutungsvorsorge“ gab einen Überblick über die Möglichkeiten und Praxisbeispiele einer zielgerichteten Öffentlichkeitsarbeit und Risikokommunikation für Kommunen. Die heutige praktische Umsetzung ist aus seiner Sicht durchaus ausbaufähig. Die Kommunen berufen sich häufig auf die Selbstschutzpflicht der Bürger gegen Überschwemmungen und sehen sich selber nicht in der Pflicht oder halten aus Angst vor Protesten und Einwendungen der Eigentümer Informationen zurück. Jedoch werden die potentiell Betroffenen ohne bestimmte Informationen, z.B. die Ergebnisse computergestützter Überflutungsanalysen, nicht sensibilisiert und sind nicht in der Lage, Eigenvorsorge zu treffen. Daher sind Bürgerinformationen essentiell wichtig, jedoch scheitert dies aus den oben genannten Gründen oder nicht selten an fehlendem Personal. Er schlägt vor, z.B. die Verbraucherzentralen oder Bürgerbüros mit einzubeziehen, so dass nicht jede Kommune allein ohnehin knappes Personal hierfür einsetzen muss.

Was nahm das Publikum mit?

Der breite Blick auf das Thema kam beim Publikum gut an. So verfolgten Vertreter der Stadt Bielefeld interessiert die Fortschritte bezüglich der Überflutungsanalysen der Nachbarstadt Herford, worauf beide Städte einen Informationsaustausch vereinbarten. Kleinere Gemeinden nahmen viele Anregungen mit, können aber oft aus Kosten- und Personalgründen nicht alles umsetzen, was heute möglich ist, so äußerte sich auch Michael Schlenz, Abwassermeister der Stadt Borgholzhausen. Frank Rüsing und Martyna Sagel vom HochwasserKompetenzCentrum e.V. (HKC)  in Köln sind naturgemäß an der Information der Bürgerinnen und Bürger über Rückstauschutz interessiert. Sie betreiben ein Infomobil und bieten Hochwasserschutz zum Anfassen, indem sie vor Ort u.a. Produkte und Lösungen praktisch vorführen und erklären. Sie würden sich ein funktionierendes Netzwerk aller Hochwasserschutzakteure wünschen.

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